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IVEN EINSZEHN

Wörter | Holz | Papier

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IVEN EINSZEHN

Wörter | Holz | Papier

 

Eine Postkarte ist


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 eine Postkarte

Veröffentlicht  in Junge Welt Nr.119 / 25.Mai 09

  

Ich bin Künstler, und Künstler machen komische Sachen. Frau Deckner ist Journalistin, und sie schreibt ein Porträt über mich. Wenn Journalisten etwas von mir wissen wollen, müssen sie mir aber erst einmal eine Postkarte schicken. Kein großes Problem - eigentlich.

Meine Postkarten sind jedoch Treibholzstücke, oder ich habe sie aus Zweigen zusammengenäht, oder es sind alte Teedosen, Schachteln, Tabletts, zerbrochene Schallplatten usw. Zur Postkarte macht all diese Dinge ein aufgestickter Postkartenaufdruck. Die Postkarten sind schroff und eckig und manchmal nur schlecht zu beschriften. Ich verlange aber, dass sie genau so verschickt werden. So zwinge ich zu einer Beschäftigung mit meiner Arbeit, ehe die Beschäftigung mit meiner Arbeit seinen journalistischen Gang gehen darf.

Der eigentliche Sinn dieser Postkarten liegt in der Herausforderung, sie genau so, wie sie sind, auf den Weg zu bringen. Mit der Behauptung, die Leute in der Post wären jedes Mal sehr angetan, wenn sie so etwas Außergewöhnliches verschicken sollen, bekomme ich jeden rum. Und so fühlte sich auch Frau Deckner der Aufgabe gewachsen. In Wahrheit gestaltet sich die Sache oft zäh, und man muss sich den Mund fusselig reden. In den einschlägigen Vorschriften fehlen die Posten »unverpackte Beförderung von Originalkunstwerken« und »verschrobener Wunsch« nämlich gänzlich.

Ich musste Frau Deckner nicht groß zu einer besonders schwierigen Postkarte überreden. Sie wählte freiwillig jene, bei der sich der gestickte Postkartenaufdruck versteckt im Inneren einer Schatulle befindet (Foto). Jedem Postzusteller widerstrebt es selbstverständlich vollkommen, eine Sendung zu öffnen, und Kunstverstand gehört keinesfalls zu seinem Beruf!

So stellte der Mitarbeiter bei der Post auch ganz zweifelsfrei fest, dass es sich bei der Postkarte um gar keine Postkarte handelt. Dazu hat er die Postkarte schief angeguckt und mit einem Lineal abgemessen. Frau Deckner bemühte sich, dem Mann klarzumachen, dass es sich sehr wohl um eine Postkarte handelt, auch wenn man sie nicht als Postkarte im herkömmlichen Sinne verschicken kann, für 45 Cent also. Mutig begleitete der Mitarbeiter diesen Gedanken um eine Hürde, kam aber zu dem falschen Schluss: Er fand heraus, dass es sich auch um keinen Brief handelt - schon wegen des Postkartenaufdrucks!

Trotz ausführlicher Erläuterungen war ihm nicht verständlich zu machen, dass es gar nicht darum geht, was diese Postkarte seiner Meinung nach darstellt, sondern nur, was sie im Sinne des Kunstwerks ist. Inzwischen verlängerte sich die Schlange hinter Frau Deckner recht unangenehm, ihr wurde die Sache aber gar nicht peinlich. Sie hatte hier eine Aufgabe zu erledigen und sprach davon - und nur davon -, dass diese Postkarte verschickt werden muss, egal wie. Prompt kam der Postmitarbeiter auf eine prima Idee: Die Karte einfach in eine Tüte stecken, Adresse drauf, dann wäre es ein Brief.

Tapfer erklärte Frau Deckner abermals ihre Aufgabe: Das Ding genau so verschicken, wie es ist, unverändert, nicht einmal durch eine Tüte. Nur so ist es richtig. Aber ohne Tüte würde das Holzding andere Briefe beschädigen, wandte der Mann von der Post ein. Frau Deckner versprach, das Kunstwerk würde nichts anrichten, sie wüsste nicht einmal, wie das gehen sollte. Andere sperrige Sendungen machen andere Briefe doch auch nicht kaputt.

So ging es hin und her und dauerte immer länger, und Frau Deckner war schon drauf und dran, sich geschlagen zu geben. Geistesgegenwärtig fragte sie, wie es eigentlich wäre, wenn sie diese Postkarte zu Hause frankieren und in einen Briefkasten werfen würde, ohne Diskussionen am Schalter. Das wäre mit ausreichend Porto kein Problem, das würde dann auch befördert. Dass es genau darum ging, ging dem Mann deswegen aber noch immer nicht auf! Als lebender Inbegriff der Beförderungsbedingungen blätterte er schließlich in einer Broschüre und suchte nach der einwandfreien Lösung. Als er keine finden konnte, tat er etwas Überraschendes: Er warf die Postkarte auf die Waage und frankierte sie mit zweizwanzig. Leider ist sie nie angekommen.

Ich hätte die Karte gern bekommen, und auch Frau Deckner hätte es gern gehabt, wenn die Karte angekommen wäre. Sie versuchte sogar, bei der Post nachforschen zu lassen. So etwas machen die aber nicht. Wenn es ein Einschreiben gewesen wäre oder eine versicherte Sendung - kein Problem. Nicht aber wegen einer Postkarte!

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